Bericht 27 --- Als (Radfahrende) Frau im Iran
- jonasklein30
- 5. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
06.08.24
Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern liegt mir als Frau definitiv am Herzen und ist ein Thema womit ich mich schon länger regelmässig auseinandersetze. Zuhause in Deutschland bin ich immer wieder verärgert oder enttäuscht von einigen erzählten oder erlebten ungerechten Situationen, doch noch nie habe ich diese Ungerechtigkeit so stark verspürt wie in den letzten 5 Wochen im Iran.
Vor der Anreise habe ich mir angesichts des Irans vor allem über das erzählte Frauenbild im Land Gedanken gemacht und immer wieder versucht mich zu projizieren um mich darauf vorzubereiten. Ich habe mich etwas belesen um zumindest über die grossen kulturellen Unterschiede informiert zu sein: wie die genauen Kleidervorschriften sind (lockere lange Sachen, Po und Haare bedeckt); ich hatte mich zu verbotenen Gesten oder zb. dass Männer im Iran einer Frau nie die Hand geben belesen. Trotz diesen Vorbereitungen habe ich mich vor Ort als Frau unwohl gefühlt. Auf den Strassen sind vor allem Männer unterwegs und jeder Blick kam mir sehr wertend vor und hat mich verunsichert. Ist das Hemd doch zu knapp unter dem Po? Der Stoff zu durchsichtig? Mein Kopftuch zu locker oder zu weit nach hinten gerutscht?
Solche Gedanken über eine zu wenig bedeckende Kleidung sind auch Frauen in Europa leider nicht ganz fremd. Was mir allerdings daheim dann doch gelingt zu ignorieren und selbstbewusst meine auserwählte Kleidung zu tragen ist hier in solch einem Unwohlsein gemündet, dass ich am zweiten Tag trotz 35-40 Grad feuchter Hitze ein weiteres Shirt unter das Hemd angezogen habe. Viel Ruhe hat es mir dann nicht gegeben, aber ein paar Blicke konnte ich dadurch besser ignorieren.
Ich muss persönlich sagen, dass ich es mich nicht trauen würde und nicht weiterempfehlen würde als Frau alleine im Iran zu reisen. Durch das Reisen mit einem Mann wird der Kontrast der Behandlung aber umso deutlicher. Jonas wurde in jedem Ort wo wir vorbeigefahren sind begrüßt wie ein Held, die Hand mit Dankbarkeit und Stolz geschüttelt, dem „Sir“ noch was geschenkt. In dieser Zeit steht man als Frau daneben als wäre/ist man eine unbedeutende Begleitung.
Die Situation entstand wiederholt, dass wir am Strassenrand standen und uns von jeglichen Menschen (Männern) Hilfe angeboten wurde. Teilweise habe ich es vor Jonas registriert und die Hilfe mehrmals höflich abgelehnt. Angenommen wurde die Antwort allerdings erst als Jonas das Identische schliesslich aussprach.
Wie bereits erwähnt sind auf den Strassen im Iran vor allem Männer unterwegs und man kommt wenig bis gar nicht mit einer Frau in Kontakt. Ich hatte genau ein vieräugiges Gespräch mit einer jungen Frau in der Stadt Ardabil im Nordwesten Irans. Sie hat in einem Café gearbeitet und mir den Weg zur Toilette gezeigt. Die erste Frage war wie überall im Land : where are you from? Als sie hörte ich käme aus Deutschland sprach sie begeistert von Rammstein. Meine nächste Frage war ob sie aus der Stadt käme : „Yes, unfortunately“. Mehr wurde aus dem Gespräch nicht aber diese zwei Wörter sind mir im Ohr geblieben.
Die Jugend im Iran wirkt allgemein unzufrieden - man sieht viele junge Männer am Strassenrand die nichts anderes machen als mit ihren Mopeds hin-und her zu ballern. Trotzdem hatte ich das Gefühl diese Männer haben immerhin die Chance ihre Unzufriedenheit auszudrücken oder „Dampf abzulassen“.
Trotz dieser Minderwertigkeit die mir als Frau täglich klargemacht wurde durch indirekte Handlungen oder vor allem das Nicht-Interesse an einem hatten wir als wir zu Fuss unterwegs waren, keine grenzwertigen Erfahrungen. Als Radfahrende Frau allerdings war es eine andere Sache und ich wurde in den 5 Wochen leider einigen unangenehmen Situationen ausgesetzt.
Das Radfahren in der Öffentlichkeit ist den Frauen im Iran grundsätzlich untersagt.
Der Ayatollah hat es in verschiedenen Predigten geäußert dass eine Radfahrende Frau für die Männer zu verführerisch sei. Somit darf eine Frau in ihrem privaten Innenhof so viel Radfahren wie sie möchte solange sie dabei keinen Mann stört.
Bei Touristinnen sei es toleriert doch den Unmut habe ich trotzdem mehrmals verspüren dürfen: es wurden von den Autos heraus sexuelle Handzeichen an mich gerichtet, ein paar Fuck you‘s verteilt oder auch die kreative Idee mich mit einem abgeschleckten Eis abzuwerfen.
Jede dieser Handlungen haben mich kurz verunsichert aber vor allem eine zunehmende Wut in mir steigen lassen sodass ich nach 3 Wochen Radfahren jeden Mann als arroganten Macho abgestempelt habe und jede Frau bemitleidet habe. Damit wurde ich den Menschen dort definitiv nicht gerecht. Wir haben auch sehr viele respektvolle Männer getroffen und sehr liebevolle Familien. Die Hilfsbereitschaft im Land, auch wenn zunächst von Mann zu Mann ausgemacht, ist bei allen beeindruckend. In kritischen Situationen wurde uns immer geholfen und wir haben uns als Paar sehr willkommen gefühlt.
Somit habe ich während unserer restlichen Zeit versucht es etwas weniger an mich ranzulassen und das männliche Verhalten als Ausnahmesituation zu werten. Das war meine persönliche Lösung als passierende radreisende Frau und wohlwissend dass ich in paar Wochen meine Stimme zurückbekomme.
Ich verlasse mit zwei Gefühlen den Iran. Einerseits verspüre ich eine große (egoistische) Dankbarkeit in einem Land zu wohnen wo ich als Frau selbstbestimmt leben darf und kann. Aber ich verlasse auch das Land mit einem besorgenden Bewusstsein wie meilenweit entfernt wir in der Welt von der tatsächlichen Geschlechtergerechtigkeit sind.



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